Redaktion: Herr Kläsener, welchen Ansatz verfolgen Sie bei beneVolens und in der Kommende Dortmund in der politischen Bildung für bildungsbenachteiligte Jugendliche?
Robert Kläsener: Die schulische politische Bildung ist durch den Lehrplan und knappe Schulstunden eingeengt. Da geht es dann oft nur um formale Fragen, etwa wie Wahlen funktionieren oder wie Gesetze beschlossen werden. Der außerschulische Ansatz, den wir mit beneVolens und als Kommende verfolgen, ist lebensweltorientiert. Es geht darum, gemeinsam mit den Jugendlichen Möglichkeiten zu finden, wie sie sich an unserer demokratischen Gesellschaft beteiligen können.
Redaktion: Wie gelingt es Ihnen, den bildungsbenachteiligten Jugendlichen auf Augenhöhe zu begegnen?
Kläsener: Ich mag diese Formulierung von der Augenhöhe gar nicht. Mein Kühlschrank ist voll, mein Gehalt kommt pünktlich jeden Monat, ich habe viel Unterstützung auf meinem Bildungsweg erhalten. Ich kann es tausendmal versuchen, aber ich werde es nicht schaffen, bildungsbenachteiligten Jugendlichen auf Augenhöhe zu begegnen. Ich kann allenfalls versuchen, den Jugendlichen wertschätzend und empathisch zu begegnen und ihnen gegenüber möglichst meine Privilegienblindheit abzulegen. Genau das sollten wir auch als demokratische Gesellschaft machen. Ich erinnere mich noch an die Corona-Zeit, als die Medien voll waren mit Gymnasiastinnen und Gymnasiasten, die sich Sorgen um ihren Numerus Clausus machten. Die Jugendlichen, die ohne Internet zu viert in einem Zimmer saßen und versuchten, mit der Situation irgendwie klarzukommen, erhielten diese Bühne nicht. Diesen Jugendlichen begegne ich in unseren Projekten. Meine Aufgabe ist es, ihnen zu helfen, dass sie sich als Teil dieser Gesellschaft verstehen und ihren Platz darin behaupten können.
»Bei den Bildungsprojekten von beneVolens geht es darum, gemeinsam mit den Jugendlichen Möglichkeiten zu finden, wie sie sich an unserer demokratischen Gesellschaft beteiligen können.«
Redaktion: Wie glaubwürdig ist die Kirche als Träger in der politischen Bildung?
Kläsener: Das ist unterschiedlich. Die Grundrechte oder der Freiheitsbegriff lassen sich auch humanistisch herleiten. Für mich entspringen sie aber dem christlichen Menschenbild. Gott sieht uns Menschen als Personen mit einer je eigenen Individualität. So vermittle ich das auch den Jugendlichen, denen ich in den Projekten begegne. Die wenigsten von ihnen sind kirchlich gebunden. Wenn es eine religiöse Bindung gibt, dann meist bei Muslimen. Muslimische Eltern haben auch oft die Sorge, dass ich unter dem Deckmantel der politischen Bildung missioniere. Dieses Misstrauen löst sich meist recht schnell in einem interreligiösen Dialog auf. Mitunter werde ich auch dem Vorwurf konfrontiert, dass die Kirche eine im Kern undemokratische Institution sei und daher wenig berechtigt, sich in der politischen Bildung zu betätigen. Dieser Einwand lässt sich leicht entkräften, wenn man Kirche als Gemeinschaft und nicht als Institution versteht. Glaubwürdig sind wir, wenn wir unser Tun an den eigenen Werten und Überzeugungen messen lassen. Deutlich an Glaubwürdigkeit gewonnen hat die Kirche jüngst etwa durch die Erklärung der Deutschen Bischofskonferenz, dass rechtsextremistische Gesinnungen und Konzepte fundamental auf Ab- und Ausgrenzung zielen und mit dem Christentum deshalb unvereinbar sind. Das hindert höchstwahrscheinlich nur wenige Menschen daran, die AfD zu wählen. Trotzdem ist die Erklärung eine klare Haltung, die ich mir in dieser Deutlichkeit auch von anderen gesellschaftlichen Gruppen wünschen würde.
Das Interview führte Herr Hans Pöllmann. Erstveröffentlicht am 28. Mai 2024 unter: https://www.erzbistum-paderborn.de/news/politik-ist-zusammenleben/